Donnerstag, 15. Januar 2004
zunehmen...
tue ich nur bei handarbeiten und nie im richtigen leben. ob das von vorteil ist mag dahingestellt bleiben.
ich habe 3/4 der unsäglichen zunahmerunde an meiner filetdecke hinter mir. mehr ging nicht, beim besten willen. wenn man in zwei aufeinanderfolgende schlingen je 8 knoten filiert (dazwischen jeweils 3 knoten glatt) und zuvor ca. 170 schlingen hatte, kann man leicht ausrechnen (ohne pythagoras ...), wieviele knoten danach in der runde sind (und in den nächsten runden werden es auch kaum weniger). doch das ist nicht der einzige grund, warum ich nicht mit größter begeisterung die sache in angriff genommen habe. sobald man nicht nur einen knoten in eine schlinge der vorrunde knüpft, muss man höllisch aufpassen, dass man nicht zu fest arbeitet, das garn nicht verdreht ist und man den ersten knoten nicht ganz in der mitte der schlinge knüpft (damit die schlinge 'symmetrisch' gefüllt ist). ansonsten sitzt der knoten zwar fest, aber zu früh, und wird unsauber.

so: jetzt habe ich alles getan, um alle theoretisch interessierten völlig davon abzubringen, mir beim filieren gesellschaft zu leisten (und ich sah mich schon einen 'doily net along' ins leben rufen). noch einmal: es ist nicht so schwer, wirklich: anfangs hat man zwar das gefühl, dass man das nie im leben beherrscht. ABER! mit einem mal (und dieser augenblick kommt ziemlich schnell) geht es wie von selbst. man kann ja mit geradfilet (der klassischen variante, die in der regel ein schlichtes quadratisches netz erzeugt ... das dann bestickt werden müsste) anfangen. dabei kann man die knotenbildung sehr gut üben.

eins habe ich vergessen: man braucht doch noch einen zweiten knoten: den weberknoten (ja, das ist genau der, der einem die freude am stricken verdirbt, wenn er mitten im knäuel auftaucht, und vor dem handarbeitbuchautorinnen warnen: "traue keinem knoten, den du nicht selbst geknüpft"). das schöne am filet ist nämlich, dass man nichts vernähen muss. man darf, nein muss einen neuen faden anknoten (eben mit jenem weberknoten) und dann die überstehenden enden einfach abschneiden (bis auf 1-2 mm!). das hält wirklich, sogar beim waschen. wo sollte man auch einen faden vernähen? sind ja nur löcher.

und da ich gerade beim (indirekten) werben bin: filet ist auch etwas für geizhälse und arme schluckerInnen: so große und gleichzeitig so leichte 'textile gebilde' kann man sonst nur mit (anderen) spitzentechniken erzeugen. und klöppeln, erst recht nadelspitzen, sind mit sicherheit bedeutend langwieriger in der herstellung als filiertes.

also: wer hilft mir, das filieren vor dem aussterben zu bewahren?

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Kicher!
Hallo Jörg,
bei Typen wie mir wirken Deine Worte eher ehrgeizg-anstachelnd. ;-)
Und arm wie eine Kirchenmaus bin ich ja auch (Materialverbrauch). Und Dein zuletzt vorgestelltes Werk ist auch eine Wucht. Aber: Abnehmerin wäre immer nur meine Mutter - aber eine Decke wäre schon mal was.
Grübelnde Grüße
Angela

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kitsch?
ich bin auch immer hin- und hergerissen. kitsch? kunst? oder beides? ich geb es zu: das meiste aus dieser kategorie verbleibt nicht in meinem besitz. ich geb es schweren herzens her und sage mir, dass mir das eigentlich nicht gefallen dürfte, weil es nun eben einmal spießiger kitsch ist. ich weiß nicht, ob in den textilwerkstätten des bauhauses filiert wurde. wenn aber eine technik geeignet wäre, um 'künstlerische' handarbeiten herzustellen, dann ist es diese. wenn man andere muster wählt natürlich. grundsätzlich ist ein graphisches, abstrakt-ornamentales element technikimmanent (tut mir leid, da bin ich wohl in der falschen textsorte gelandet...). da nutzen auch alle versuche, diese sachen etwas 'blumiger' zu gestalten wenig: die netzstruktur abstrahiert 'automatisch' (und ich denke, man könnte noch viel mehr herausholen).
trotzdem: das grundproblem der funktionslosen form bleibt: ein tischtuch schützt den tisch etc. und hat zumindest ansatzweise eine funktion. aber eine filetdecke??? nix mit schutz, nur deko (und unpraktisch noch dazu, weil sich alles, was man darauf legt, in den maschen verhakt ....).
dass ich eine filetdecke auf meinem tisch liegen habe, sehe ich also als beweis für mein scheitern beim versuch, meine wohnung sachlich und funktionell einzurichten. ein immerwährender kampf: nach 1 1/2 jahren habe ich meine vorhanglosen fenster nicht mehr ertragen (und natürlich dabei auch meine unter dem sonnenlicht leidenden bücher im auge gehabt): ich bin zu ikea gefahren und habe meine nähmaschine heißlaufen lassen. solange ich jedoch nicht alles voller nippes habe (und unter jedem nippesteil ein passendes deckchen...) kann ich damit leben. ich rede mir dann noch ein, dass ich ja im prinzip 'historisch' an diesen techniken interessiert bin. nur: dazu muss man ja eigentlich nicht unbedingt alles nacharbeiten.
außerdem gibt es ja auch extreme qulitätsunterschiede bei den entwürfen (und der anfertigung, dem material etc.). die grenze zwischen kitsch, kunst und handwerkskunst ist fließend. kunstgewerbe eben. oder kunsthandwerk?

ach ja: das ergeiz-anstacheln war natürlich intendiert...

hoffnungsvolle grüße,
jörg

...seltsamerweise macht sich mein wagenfeld-service ganz gut auf der (hier noch nicht abgebildeten) filetdecke ...

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